Silvia Schmidt
Die Uniform
Ich begleite seit 2001 Menschen mit lebensverkürzender Diagnose. Gerne erinnere ich mich an eine meiner ersten Begleitungen. Hr. W. war 72 Jahre alt und an Bronchial Ca. erkrankt. Er lebte seit ein paar Jahren in einem Altenheim. Hier hatte er noch einmal seine große Liebe kennen gelernt. Mit seinem Sohn hatte er keinen guten Kontakt. Hr. W. war ein leidenschaftlicher Raucher und Fanfarenspieler. Viele Feste untermalte Hr. W. mit seiner musikalischen Art. Nach dem Tod seiner Freundin zog sich Hr. W. immer mehr zurück. Er wurde mir als mürrischer, alter Mann übergeben. Als ich das erste Mal Hr. W. besuchte, war gerade der Notarzt bei ihm, weil er eine Panikattacke wegen Luftnot hatte. Die Pflegerin empfing mich und stellte mich dem Notarzt als Hospizhelferin vor. Sofort fragte er mich, ob noch eine invasive Behandlung infrage käme. Ich merkte, dass die Pflegerin froh war, dass ihr die Verantwortung nun abgenommen wurde. Ich schaute zu Hr. W. und sah ihn fragend an. Mit seinem Blick gab er mir zu verstehen, dass er keinen weiteren Krankenhausaufenthalt wollte.
„Das haben wir dann wohl zu akzeptieren“ meinte der Notarzt und verschwand. Die Pflegerin verließ kopfschüttelnd den Raum, er sei es ja auch selber Schuld bei seiner Qualmerei. Bei den nächsten Besuchen redeten wir immer wieder von Hr. W. Fanfarenverein. Wie schön die Zeit gewesen war und dabei stellte sich heraus, dass Hr. W. die Uniform und die Fanfare in seinem Zimmer aufbewahrte. Bei einem Besuch spielte mir Hr. W. auf seiner Fanfare trotz seiner Luftnot ein Lied vor. Der mürrische, alte Mann blühte nochmal auf. Sein größter Wunsch war, dass er in seiner Uniform beerdigt wurde. Ich versprach, dass ich das an seinen Sohn weiter geben würde. Die Zeit verging und schnell begann die Weihnachtszeit. Am Hl. Abend wurde ich vom Heim angerufen. Hr. W. ging es zunehmend schlechter. Als ich ihn besuchen ging, durfte ich seinen Sohn kennen lernen. Im Gespräch mit dem Sohn erwähnte ich den Wunsch des Vaters. Dieser war völlig überrascht von der Idee, versprach aber dem Vater, dass er dafür Sorge tragen würde. Hr. W. lächelte. Am 2. Weihnachtstag verstarb Hr. W. mit der Gewissheit, dass er die Uniform tragen würde. Schön, dass sich Vater und Sohn auf diese Weise noch am Sterbebett versöhnen konnten."